Panorama (Nils Wommelsdorf)

Video: Todkrank: Würdevoll zu Hause sterben selten möglich (Panorama, ARD)

YouTube: https://tinyurl.com/zuhause-sterben

Aufgrund der grossen Resonanz wurde der “Panorama”-Beitrag über Probleme bei der Genehmigung der SAPV (siehe hier: https://nilswommelsdorf.de/video-palliative-versorgung/) durch die Krankenkassen von Pia Lenz und Anne Ruprecht in einem neuen Schnitt zur “besten Sendezeit” am 04.12.2014 in der ARD ausgestrahlt.

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Gedreht wurde bei uns im Goldbach PalliativPflegeTeam (www.palliativpflegeteam.de) mit Ulli Scholz (Patient).
Weiterhin kamen ich als Palliativfachpfleger und mein Chef Sven Goldbach (Pflegedienstleiter, Geschäftsführer) zu Wort.

Das Video in der ARD-Mediathek: Todkrank: Würdevoll zu Hause sterben selten möglich (Panorama, ARD – 04.12.2014, 21:15)
Das Transkript zum Video: Todkrank: Würdevoll zu Hause sterben selten möglich (Panorama, ARD – 04.12.2014, 21:15)

Transskript:
Anja Reschke:
Darf man den Zeitpunkt seines Todes selbst bestimmen? Heiß diskutiertes Thema derzeit. Soll auch
der deutsche Staat Sterbehilfe erlauben? Viele wünschen sich das. Denn klar, wer will schon als
Todkranker unter schlimmen Schmerzen darauf warten müssen, dass der Tod einen irgendwann
erlöst. Aber das muss man gar nicht, sagen viele Ärzte. Die Möglichkeiten der palliativen Medizin,
also beispielsweise Schmerzmittel genau einzustellen, seien so gut, dass wirklich niemand unter
Qualen auf sein Ende warten müsse. Was die medizinischen Möglichkeiten betrifft, mag das
stimmen. Das Problem ist aber, nur die wenigsten haben Anspruch auf palliative Pflege zu Hause.
Pia Lenz und Anne Ruprecht.
Seit Wochen kann er seine Wohnung nicht mehr verlassen. Uli Scholz hat Speiseröhrenkrebs,
Metastasen in der Leber. Er weiß, er wird bald sterben. Er möchte jetzt vor allem eines: bis zum
Ende ohne Schmerzen zu Hause bleiben.
O-Ton
Uli Scholz:
„Also manchmal wird man mürbe. Also wenn man ununterbrochen Schmerzen hat, dann ist einem…
also dann geht‘s einem irgendwie so, dass man dann irgendwann nicht mehr so richtig Lust hat.
Entweder müssen die Schmerzen aufhören oder man sagt, nun ist aber endlich vorbei.“
Vor einigen Monaten hatte er deutlich weniger Schmerzen. Obwohl er schon damals todkrank war.
Normal essen etwa ging nicht mehr, ein paar Tomaten züchtete er trotzdem auf seinem eigenen
Balkon.
O-Ton
Uli Scholz:
„Also ich seh‘ das immer gerne, wenn irgendwas wächst.“
Kleine Glücksmomente, die er genießen konnte, weil die Krankenkasse ihm eine spezielle
Schmerzbehandlung für Sterbende bezahlte. Die sogenannte „palliative Pflege“.
O-Ton
Nils Wommelsdorf, Palliativpfleger:
„Was war denn die letzten Nächte das große Problem?“
O-Ton
Uli Scholz:
„Übelkeit – im Wesentlichen Übelkeit.“
Übelkeit. Manchmal auch Schwindel und Krämpfe. Nils Wommelsdorf ist als Palliativpfleger dafür
ausgebildet Menschen in den Tod zu begleiten. Wommelsdorf kann Schmerzen lindern, Ängste
nehmen. Die Palliativ-Versorgung ist viel spezieller als eine normale Pflege. Sie soll es Sterbenden
wie Uli Scholz ermöglichen zu Hause zu bleiben, der Pfleger muss dafür Schmerzen und Übelkeit in
Schach halten.
O-Ton
Nils Wommelsdorf, Palliativpfleger:
„Das Vomex war ja auch nicht das Mittel der Wahl und die Haloperidol-Tropfen, haben Sie die mal
ausprobiert, eigentlich?“
O-Ton
Uli Scholz:
„Ich habe nicht das Gefühl, dass die großartig wirken.“
O-Ton
Nils Wommelsdorf:
„Okay“
O-Ton
Nils Wommelsdorf:
„Sie bestimmen ja immer, wann ein Symptom für Sie behandlungsbedürftig ist. Das müssen sie
selber wissen. Wenn Sie sagen, dass Sie das für sich so aushalten, ist das völlig legitim, das… da hat
jeder das Recht zu.“
Viel hatten sie ausprobiert, um Scholz‘ Symptome zu lindern. Mit sehr viel Erfolg. Das Absurde:
Genau dieser Erfolg wurde dann plötzlich ein Problem: Seine Krankenkasse hatte ihn begutachten
lassen. Und fand nun: Mittlerweile erfülle er die Voraussetzungen für die spezielle
Palliativversorgung nicht mehr. Weil er sogar wieder essen könne.
O-Ton
Uli Scholz:
„Ich habe Spargel gekauft, und das ist in dem Protokoll festgehalten worden!“
O-Ton
Nils Wommelsdorf:
„Weil das Lebensqualität ist!“
O-Ton
Uli Scholz:
„Ja. Genau. Davon habe ich allerdings – ich habe den zwar gekocht, aber ich habe davon gerade mal
zwei Stangen oder sowas geschafft. Und dann ging das nicht mehr. Das stand nicht im Protokoll.
Und dann hat die Krankenkasse ein Gutachten in Auftrag gegeben auf Basis der Aktenlage, der
Mensch kannte mich also gar nicht, und hat das echt moniert.“
Der Gutachter kommt auf Aktenlage zum Schluss: Scholz habe zu wenig Symptome, er brauche
diese palliative Versorgung nicht mehr. „..da der Patient offenbar in der Lage ist, durchaus
wechselnde Speisen zu sich zu nehmen.“ Der Gutachter beharrt auf seinem Urteil: wenn Scholz
essen kann, habe er keinen Anspruch auf die Versorgung.
O-Ton
Panorama:
„Wenn Herr Scholz keine spezialisierte Palliativversorgung bekommt. In welche Versorgung fällt er
dann, ist er gut aufgefangen?“
O-Ton
Peter Hoffmann,
Gutachter und Palliativmediziner:
„Das ist nicht meine Aufgabe als Gutachter. Ich muss eigentlich nur definieren: ob der Patient diese
aufwendige spezialisierte Palliativversorgung benötigt. Und da muss ich eindeutig sagen: nein.“
Das Problem: diese Art der Palliativversorgung sieht das Gesundheitsministerium nur für etwa 10
Prozent der Todkranken vor. 90 Prozent der Sterbenden fallen bislang durch das Raster, weil für sie
noch kein Versorgungssystem aufgebaut worden ist. Dazu gehört jetzt auch Uli Scholz. Seit dem
Gutachten bezahlt seine Krankenkasse nur noch normale Pflege. Mit seinen Schmerzen bleibt er
also allein. Und allein wird er nicht zuhause Sterben können.
O-Ton
Uli Scholz:
„Das heißt also, wenn ich, sagen wir mal nachts, in einen Notfall gerate, die 112, lalülala und ab in
die Notaufnahme.“
Seine größte Angst: Dann nie mehr aus dem Krankenhaus herauszukommen. Solche Fälle erlebt
Nils Wommelsdorf immer wieder. Als Palliativpfleger hat er schon viele Menschen zu Hause in den
Tod begleitet. Er ist Teil eines Teams aus Palliativ-Ärzten und -Pflegern – die im Notfall 24 h für ihre
Patienten da sind.
O-Ton
Nils Wommelsdorf, Palliativpfleger:
„Wir versuchen ja, die Leute, soweit es geht, aus dem Krankenhaussystem rauszuhalten, dass sie
auf jeden Fall zu Hause, soweit es geht, bleiben können und dann Zuhause auch ruhig einschlafen
können, sterben können – irgendwann.“
Sterbenskranke mit schweren Symptomen haben seit 2007 sogar einen Rechtsanspruch auf
Palliativ-Versorgung zu Hause.
Doch bis heute ist nur ein kleiner Teil davon gut versorgt, so die Erfahrung von Sven Goldbach,
Leiter des zuständigen Palliativteams. Seine Erfahrung deckt sich mit der anderer Experten.
O-Ton
Sven Goldbach, Pflegedienstleiter:
„Ein Großteil der erkrankten Menschen fallen genau durch unser System, und werden im Prinzip
palliativ nicht gut betreut, weil es einfach keine Struktur für sie gibt. Oder keine
Abrechnungsmöglichkeiten. So dass man ganz klar sagen muss, ein Großteil der Menschen in
diesem Land, die sterben werden, haben keine gute Palliativversorgung bisher.“
Seit Uli Scholz keine Palliativversorgung mehr bekommt, hat er immer mehr Schmerzen. Den
Kampf mit der Kasse hat er schon fast aufgegeben.
O-Ton
Uli Scholz:
„Ich kann mich ganz, ganz schwer aufraffen, irgendetwas in dieser Richtung zu unternehmen. Also
ein Telefongespräch führen ist ein Mordsaufwand, wenn man vor Schmerzen, also die ganze Zeit
nur überlegt, na, sitze ich jetzt richtig? Und ist das Kissen auf dem Rücken okay?“
Immerhin: Seit Panorama sich eingeschaltet hat, signalisiert die Kasse plötzlich Bereitschaft, den
Fall neu zu prüfen. Und auch der Gutachter ändert sein Urteil, als wir ihm die aktuellen
Pflegeberichte zeigen. Sie belegen: Seit Scholz keine spezielle Palliativversorgung mehr bekommt,
ist sein Zustand viel schlechter geworden.
O-Ton
Peter Hoffmann,
Gutachter und Palliativmediziner:
„Also beim Lesen der aktuellen Befunde muss ich sagen, dass die Situation sich insofern
verschlechtert hat, als er jetzt zunehmende Schmerzsymptomatik hat, als er zunehmende, weitere
Beschwerden angibt. Und das erfüllt jetzt wohl die Kriterien der spezialisierten ambulanten
Palliativversorgung.“
Viele Todkranke wie Uli Scholz fallen weiterhin komplett durch das Raster. Das räumt jetzt sogar
der Gutachter ein, der regelmäßig für die Kassen nach harten Kriterien beurteilt.
O-Ton
Peter Hoffmann,
Gutachter und Palliativmediziner:
„Das funktioniert noch nicht gut. Der erwünschte Verlauf könnte ja sein, dass ein Patient, dem es
sehr schlecht geht, am Ende seines Lebens die spezialisierte Palliativversorgung bekommt, sich
unter dieser optimalen Versorgung soweit bessert, dass er sie dann tatsächlich nicht mehr braucht.
Und dann müsste ein System da sein, das ihn auffängt. Und dieses System gibt es noch nicht.“
Von Gesundheitsminister Gröhe dazu kein Interview. Mängel im System räumt sein Ministerium
mittlerweile ein. Sieben Jahre nach Einführung der Palliativversorgung zieht man in seinem Haus
Nachbesserungen in Betracht. Für Herrn Scholz kommen diese Pläne zu spät. Er hat keine Zeit
darauf zu warten.
O-Ton
Panorama:
„Was machen eigentlich da draußen die Tomaten?“
O-Ton
Uli Scholz:
„Och, die werden… nächstes Jahr wird die Erde gewechselt…(lächelt) vielleicht… Und dann kommen
da neue rein. Ich versuche das Leben so zu leben, als wenn es ewig dauert. Also gibt es auch
Planungen für den Herbst nächsten Jahres und sowas.“

CC BY 4.0 Video: Todkrank: Würdevoll zu Hause sterben selten möglich (Panorama, ARD) von Nils Wommelsdorf ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung 4.0 international.

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